Ein paar Worte zur Bologna-Debatte

Seit einigen Tagen kursiert in deutschen Medien, insbesondere bei der Zeit eine interessante Debatte über die Bologna-Reform. Das ganze fing wohl damit an, dass sich die Wirtschaft nun über die Reform beschwert. Diejenigen, die alles schneller, einheitlicher und verschulter haben wollten und Bologna überhaupt ins Rollen gebracht haben, meckern nun, dass alles zu verschult ist und die Studierenden nicht mehr gut genug ausgebildet sind. Die Studiengänge seien zu verschult und erlauben kein kreatives Denken mehr, was die Wirtschaft aber zunehmend braucht um kreative Produkte zu entwickeln. Dass die meisten Akademiker nun sagen werden “told you so!“, ist wenig überraschend. Diese Debatte über die gute Lehre hat mich dazu bewegt, hier ein paar Worte zu schreiben, denn was gute Lehre (in den Sozialwissenschaften!) ausmacht, lässt sich auf wenige Kernthesen reduzieren (auf die Gefahr hin, dass gleich der Didaktikermob mit brennenden Fackeln vor der Tür steht).

Ich unterrichte nun schon seit nunmehr 6 Semestern und habe einige wenige Punkte gefunden, die alle meine Seminare bestimmten und immer wieder gut ankamen (und gute Evaluationsberichte produzierten).

  1. Evaluationen machen, denn Evaluieren heißt, dass man Interesse am eigenen Fortschritt hat. So wie Wissenschaftler ein Interesse daran haben, bessere Wissenschaftler zu werden und neue Methoden und Theorien zu lernen, sollten sie dieses Interesse auch auf die Lehre übertragen. D.h. Interesse und Reflexion der eigenen Lehre sind der erste Schritt. Selbst wenn man an vorgefertigte Fragebögen nicht glaubt, so kann man doch zumindest mündliches Feedback, oder auch schriftlich anonym, von Studierenden einholen. Damit Verbunden ist die Erkenntnis, dass Lehre nichts statisches ist was man einmal lernt und dann für immer so bleibt, sondern dass man neue Methoden lernt und immer mal wieder einbaut. Seminare bei älteren Wissenschaftler sind oft deswegen didaktisch unspektualär weil dort geglaubt wird, man habe vor 20 Jahren die “Formel“ zur guten Lehre gefunden und die habe heute, 20 Jahre später auch noch Gültigkeit. So wie wissenschaftliches Wissen veraltet, veralten auch Lehrmethoden. Das habe ich erst kürzlich auf einem Diavortrag gehört…
  2. Sich selber weniger, die Studierenden mehr ernst nehmen. Ich habe ein Jahr im Bildungswunderland Schweden studiert und wurde da beinahe erschlagen vom gleichwertigen Umgang zwischen Dozenten und Studierenden. Nicht nur, dass man sich in Schweden eh duzt, aber dieses duzen führte dazu, dass Dozenten sich bewusst auf eine Ebene mit den Studierenden setzten, was dem Lernklima dienlich war. Überhaupt spielte es in dieser recht egalitären Gesellschaft weniger eine Rolle ob jemand Professor, Doktor oder nur “Herr Magister“ war (wie man in Österreich zu sagen pflegt). Zu starre Hierarchien und die oftmals dadurch produzierte Angst-durch-Autorität behindern den Lernerfolg. Unter “peers“ lernt man am besten. Deswegen gibt es Fachkonferenzen unter Gleichgesinnten  und eben “peer-review“. In Seminaren kann man dies simulieren indem man bewusst die Hierarchie reduziert. Das kann man auf verschiedenem Weg tun und wer an seinem Titel hängt, soll ihn tragen, aber bitte nicht raushängen lassen. Wenn eine Professor(in) im Seminar verkündet, dass ‘hier eh die Hälfte durchfallen wird und Studentische Ideen eh nichts wert sind‘, wird am Ende nie ein gutes Seminar dabei herauskommen. Am effektivsten ist, wenn man die Attitüde ablegt, dass man selber alles weiß und die Studenten eh unwissend sind. Erstens weiß man als Wissenschaftler eben nicht alles (sonst wär man Theologe geworden), und zweitens gibt es auch unter Studenten erstaunlich helle Köpfe die sich aber evtl. von der Autorität des Professors eingeschüchtert fühlen und daher nichts sagen.
  3. Einfach mal was anderes machen. Die meisten Studierenden sind angeödet von der schnöden Standardstruktur: Text lesen, schlechtes Referat zum Text, schleppende Diskussion, ein paar Worte des Dozenten, Schluss. Dozenten lieben Referate, weil sie denken, so weniger in die Seminarvorbereitung investieren zu müssen. Ich habe nichts gegen Referate, nur gegen schlechte, und gegen zu viele. Damit sie aber gut werden, muss man Zeit investieren: man sollte die Ziele mit den Studierenden absprechen, Sie dazu anhalten nicht Powerpoint zu benutzen sondern etwas dynamisches zu entwickeln (evtl. entlang einer Fragestellung etc.). Meistens kommen die Referate, die vom Belehrenden weggehen und interaktiv werden, am besten an. Das grundlegende Problem liegt aber oft in der Masse. Nur Referate sind genau so langweilig wie ständige Gruppenarbeiten oder immer nur Film gucken. Man will ja auch nicht immer das gleiche essen. Deswegen, einfach mal die Inhalte und Lehrmethoden variieren. Warum nicht mal eine Diskussion mit pro/contra Positionen initiieren. Warum nicht mal eine Übersicht oder eine mind-map produzieren lassen. Meine Studierenden sind letztlich vor Entzückung fast geplatzt als ich Ihnen im Seminar einen Recherchenauftrag zum Thema “Big Data“ geben habe, dessen Ergebnisse sie in eine gemeinsame Tabelle eintragen mussten (die Wunder der Cloud). Man muss auch nicht das Rad neu erfinden, aber eine hand-voll abwechslungsreiche Sitzungen bleiben garantiert in Erinnerung.
  4. Dinge outsourcen, Studierende selber Probleme bearbeiten lassen. Viele Dozenten denken, Sie müssten im Seminar alles Wissen der Welt, oder zumindest so viel wie möglich vermitteln. Im Folgeschritt denken Sie, sie müssten dazu eben alles Wissen und bereiten daher das Gesamtseminar mit viel zu vielen Inhalten vor. Ich kenne Kollegen, die zettelweise Abstracts und Notizen mit in die Sitzungen tragen, um auf alles vorbereitet zu sein. “Ein Student könnte ja etwas über den afrikanischen Volksstamm Y wissen wollen, der im ersten Kongokrieg eine Nebenrolle spielte.“ Das Problem an diesen Skripten bzw. dieser zu detaillierten Vorbereitung ist, dass man sich oft zu starr an ihnen festhält und denkt, man habe erst 30% geschafft, die restlichen 70% müssen jetzt noch in den letzten 10 Minuten durchgeprügelt werden. Oftmals gerät man dann ganz schnell in einen Frontal-Stil: der Dozent erzählt stundenlang nur um noch schnell tausend Dinge anzutippen. Ich habe das am Anfang, aus Unsicherheit, selbst so ähnlich getan. Um natürlich das ganze Wissen verarbeiten und einschränken zu können, empfehlen Didaktiker eine intensive didaktische Vorbereitung des Seminars. Sprich, welche Lernziele soll es geben, welche Lernphasen, Pausen, Planspiele etc.. Es gibt da hilfreiche Tipps und ich empfehle solche Workshops in der Tat. Was aber aus der Erfahrung heraus erstaunlich gut funktioniert ist, weitaus simpler: die Studierenden die Dinge selbstständig erarbeiten zu lassen, die man selbst normalerweise im Detail vorbereiten würde (nur um sie dann, im schlimmsten Falle noch im Frontal-Stil, den Studierenden zu vermitteln). Einfach mal die Studenten in Gruppen oder Paarweise vor ein Problem stellen (think-pair-share z.B.) wirkt Wunder. Studierende lesen Texte nicht? Einfach mal den Auftrag geben, sich gegenseitig ein Konzept zu erklären. Es gibt da tausende super Möglichkeiten. Die wichtige Erkenntnis ist, und das wissen implizit alle, dass man durch selber-erarbeiten weitaus mehr lernt, als wenn einem einer das erzählt, was man wissen soll. Ein befreundeter Realschullehrer berichtete mir neulich, dass er genau so auch in seiner 8ten Klasse verfährt und wenn Realschüler damit brauchbare Ergebnisse produzieren, muss also was dran sein.
  5. Neue Medien. Ok, viele können das nicht mehr hören und man kann es auch wirklich übertreiben. Aber gemäßigter Medieneinsatz (Didaktiker sprechen von ‘blended learning‘) funktioniert in der Regel gut. Ich habe es mir angewöhnt, im digitalen Semesterapparat eine Linksammlung anzulegen, in denen die Studierenden selber Internet Dinge eintragen können. Dabei stößt man selbst oft auf interessante neue Aspekte. Momentan bearbeiten wir gemeinsam ein Wiki (Erfahrungsbericht folgt). Studierende sind mit dem Medium Internet groß geworden und betrachtet es als natürliche Erweiterung des Lernens: Kopiervorlagen sind out.
  6. Wahlfreiheit der Inhalte. Studierende rechnen es einem hoch an, wenn sie den Eindruck haben, sie könnten den Kurs des Seminars mitbestimmen. Ich bin mittlerweile weg von vollends durchgeplanten Seminarplänen und habe in der Regel 2-3 Sitzungen, die inhaltlich von den Studierenden bestimmt werden können. D.h. konkret, dass sie im Rahmen des Seminar-Themas z.B. bestimmte Fälle aus einer (von  mir bestimmten) Auswahl wählen können. Man gibt dabei natürlich etwas die Kontrolle des Seminars aus der Hand aber wer sagt, dass man immer alles kontrollieren muss?
  7. Alternative Prüfungsformen. An den meisten Unis sind Klausuren und Hausarbeiten in Stein gemeißelt. Oftmals gibt es aber die Möglichkeit Zusatzleistungen einzubauen. Ich gebe z.B. meinen Studierenden immer die Freiheit ein Referat, einen Literaturbericht, ein eigenes Forschungspapier zu einer eigenen Frage, oder eine Diskussionsmoderation zu übernehmen. D.h. zu den meisten Sitzungen gibt es immer irgend ein input von irgendwem und Studierende können das wählen, was Ihnen am meisten zusagt. Dagegen argumentieren einige, dass bestimmte Skills wie präsentieren nunmal vermittelt werden müssen und dass deswegen jeder einmal referieren muss. Stimmt, aber dadurch, dass viele Kollegen nur nach dem Referat-Diskussion Schema verfahren, sehe ich es nicht als meine Pflicht an, das nun auch noch machen zu müssen. Variierende Hausarbeiten sind auch eine gute Idee: warum nicht mal ein policy-paper schreiben lassen? Oder einen Forschungsbericht? Oder ein Fact-Sheet?Einige Kollegen setzen auf 2 kleinere Essays statt einer langen Hausarbeit oder mid-terms. Auch hier gibt es viele Möglichkeiten. Einfach mal ausprobieren.
  8. Erklären, warum das Seminar so aussieht, wie es aussieht. Die meisten Seminare folgen einer Logik. Studierende sind sehr dankbar, wenn man die Hintergedanken bzw. den Roten Faden erklärt, also warum man in Sitzung 3. X macht und nicht Y. Was man nicht tun sollte ist: in Sitzung 2 passiert das, in Sitzung 3 jenes, in Sitzung 4 dieses. Also immer Gründe und Erklärungen für eigene Entscheidungen geben. Warum Fact-sheets statt Hausarbeiten? Weil man damit mehr lernt, z.B.
  9. Einen Blick hinter die Kulissen erlauben. Für die meisten Studierende sind Dozenten keine Menschen mit Interessen, Stärken und Schwächen sondern Wissensvermittlungsmaschinen. Dieses Image wird natürlich von Dozenten selbst mit konstruiert indem man versucht möglichst fachlich und professionell zu sprechen und immer bei der Wissenschaft und den harten Fakten zu bleiben (bloß nicht normativ, bloß keine Meinungen!). Das ist natürlich eine Fassade. Selbstverständlich sind wir Menschen und nur weil wir ernste Wissenschaftler sind heißt das nicht, dass wir uns nicht auch lustige Videos auf Youtube anschauen, Musik oder Bücher gut finden oder uns über Parteipolitik aufregen. Diese Dinge aber mit den Studierenden zu teilen (dort wo es sinnvoll und angemessen ist) und damit zu zeigen, dass wir auch nur Menschen sind, ist für viele schwierig. Das bedeutet nämlich etwas von der schützenden Dozentenfassade abzubauen, was mit gefühltem Kontrolle- und Autoritätsverlust einhergeht. “Nehmen mich die Studierenden noch ernst wenn ich sage, dass ich jene Serie, über die sich vor dem Seminar unterhalten, auch gesehen habe?“. Aus eigener Anschauung habe ich aber selbst von jenen Dozenten am meisten gelernt, die wie Menschen wirkten und den fachlichen Vortrag mit Beispielen aus ihrem Alltag durchmischten. Stark in Erinnerung blieb mir der Soziologieprofessor der von seinen soziologischen Beobachtungen beim Bahnfahren berichtete nur um uns zu zeigen, wie man soziologisch denkt. Ein anderer Professor berichtete im Logikseminar immer über die Aussagen seiner Enkelin und überprüfte diese daraufhin formal-logisch. An Wissensfragmente, die mit solchen Anekdoten verbunden sind, erinnert man sich auch 10 Jahre später noch.
  10. Sich für Studierende Interessieren. Das ist mit dem vorherigen Punkt verbunden. Ein guter Tipp ist, vor dem Seminar einfach in eine Studentendiskussion einzusteigen und die eigene Perspektive zu zeigen. Das zeigt Interesse und erlaubt einen ‘casual‘ Seminareinstieg.
  11. Nichts vorspielen. Die Einschränkung zu all dem Vorherigen ist natürlich, dass man nichts machen sollte, was nicht zum eignen Lehrstil passt. Studierenden nehmen es einem nicht ab, wenn man z.B. Interesse simuliert oder interaktive Seminare nur macht, damit sie interaktiv sind. Wenn etwas nicht glaubwürdig ist, dient es nicht dem Lernerfolg. Es gibt z.B. auch hervorragende Frontalredner, die Vorlesungen, obwohl sie frontal und der Feind eines jeden Didaktikers sind, so gut gestalten, dass sie fesseln. Es gibt auch extrem gute Dozenten, bei denen strenge Autorität und starker Anspruch zum Lernen motiviert. Es wäre fatal diesen Dozenten zu raten, doch mal etwas interaktives zu machen oder die Autorität abzubauen. Diese Schuster sollten bei ihren Leisten bleiben. Allerdings, um zu wissen ob man einer dieser super Redner ist oder eine natürliche, lernfördernde Autorität ausstrahlt, sollte man eben Evaluationen durchführen, womit wir wieder beim Anfang sind.
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