Weird Science, oder das Phantom der Definitionen

Wenn man eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen zu verschiedenen Themen gelesen hat, dann hat man mit großer Wahrscheinlichkeit schon einmal das folgende Phänomen bemerkt. Insbesondere in Einführungsbänden in Themenbereiche (z.B. conflict research cyber war, Macht oder gar politischer Psychologie) werden gerne zunächst Definitionen des Forschungsgegenstandes genannt, nur um dann Folgendes festzustellen:

  • First, some scholars have argued that ‘power’ belongs to a family of ‘essentially contested’ concepts. (Guzzini 2005)
  • Despite, however, the increased attention the concepts [power] have attracted, many of the old conceptual hazards remain and the seemingly intractable problems of locating operational definitions which capture the concepts in anything like their full complexity, have not been solved. (Abell 1977)
  • Dieser kurze Blick auf die Vielfalt der Begriffsbestimmungen zeigt, dass eine einheitliche und allgemeingültige Definition von Politischer Psychologie nicht existiert. (Prell 2011)
  • We see that ultimately the definition of political discourse can hardly escape the definition of the very notion of `politics‚ itself. This paper cannot do such a complex job, of course, also because there is not a single and unambiguous definition of what `politics‘ is. (Van Dijk 1997)
  • Bei dem Versuch einer Bestinnnung des Kriegsbegriffes fällt zunächst auf, dass der Begriff in dem Maße umstritten ist, wie seine Verwendung offenkundig politische Implikationen enthält (Bonacker & Imbusch 2006)
  • The difficult term is “information”—defining it remains a key problem of the information revolution. While no current definition is satisfactory,as a rule many analysts subscribe to a hierarchy with data at the bottom, information in the middle, and knowledge at the top (some would add wisdom above that). (Arquilla & Ronfeldt 1993)
  • Beyond this basic definition, which is not com- pletely uncontroversial either, a large and confusing variety of different understandings and applications of the concept can be found in the litera- ture. Often, authors have only a vague and sometimes ambiguous idea of what a policy network is and hardly make it explicit.(Börzel 1998)
  • The label ‘international security’ was not adopted from the outset, but only gradually became accepted, and there is no univer- sally agreed definition of what ISS comprises, and hence no accepted archive of ‘ISS-documents’ that define our object of study. (Buzan & Hansen 2009)
  • […]a failure to develop an accepted definition of terrorism and to formulate rigorous theories and concepts (Jackson 2007)

You get the idea. Im Prinzip kann man davon ausgehen, dass es nie eine einheitliche Definition von irgendetwas geben kann. Sozialkonstruktivistisches Denken geht davon aus, dass Beobachtung abhängig vom Punkt der Beobachtung ist, sprich dass das gleiche Phänomen von unterschiedlichen Seiten verschieden aussieht. Ist es eine Ente oder ein Hase?

Die meisten Sozialwissenschaften hatten ihren ‘constructivist turn‘ und trotzdem findet man immer wieder die eigenartige Verwunderung darüber, dass eine einheitliche Definition von X nicht gemacht werden kann. Wir alle wissen, dass dies nicht möglich ist. Doch immer wieder schreiben wir, dass dies nicht möglich ist. Wozu muss dies immer wieder festgestellt werden? Wozu dient diese sprachliche Figur? Die Definition stellt sich dabei wie ein Phantom da, von dem alle wissen, dass es nicht existiert, dass trotzdem immer wieder alle beschwören. Höchst eigenartig!

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