Warum wir anders über Sicherheitspolitik reden sollten

Gegenwärtig überlagert der Vorstoß der Unionsparteien zum Burkaverbot einen sinnvollen gesellschaftlichen Diskurs über die Innere Sicherheit. Dass dieser Vorstoß rechtspopulistisch motiviert ist und wenig mit tatsächlicher Sicherheitspolitik zu tun hat, wurde von den meisten Beobachtern bemerkt. Die Debatte um das Burkaverbot und die Einschränkung der doppelten Staatsbürgerschaft ist bezeichnend für post-9/11 Diskurse über Sicherheit, in denen es gar nicht mehr um unser aller Sicherheit geht, sondern nur um die Angst alter, weißer Männer.Objektiv lässt sich Sicherheit schlecht messen. Deswegen rangieren die meisten Maßnahmen im Bereich der gefühlten Sicherheit. Das heißt, dass eine Sicherheitsmaßnahme nicht tatsächlich das Risiko einer Bedrohung senkt, sondern dies nur den Anschein erweckt und man sich dadurch aber sicherer fühlt. Während Dreipunktkurte tatsächlich das Verletzungsrisiko senken, funktionieren Schutzengel für den Rückspiegel ähnlich wie Esoterik bzw. der Placeboeffekt. Das Verbot von Flüssigkeiten in Flugzeugen gehört in diese Kategorie der Sicherheitsesoterik. Die Idee, dass Terroranschläge durch Vorratsdatenspeicherung verhindert würden auch, da es bisher keinen wissenschaftlichen Beweis für diese These gibt. Diese Esoterik ist beliebt bei „Sicherheits“politikern, weil sie einfach ist, nichts kostet aber den Anschein erweckt, dass etwas getan werde. Es handelt sich also hierbei nicht um rationale Sachpolitik, die auf eine objektive Verbesserung der Sicherheitslage abzielt, sondern um Scheinsicherheit. Scheinsicherheit lässt sich einfach enttarnen, da sie unspezifisch bleiben muss. Um dies zu überprüfen, gibt es einen relativ einfachen Test.

Sicherheit besteht immer aus mehreren Komponenten. Das Referenzobjekt, dass von etwas bedroht wird. Die Bedrohung für dieses Referenzobjekt. Die geforderte Maßnahme, die die Bedrohung reduzieren und somit die Sicherheit für das Referenzobjekt erhöhen soll. Letztlich der sprechende Akteur, der zunächst immer nur behauptet, dass Objekt, Bedrohung  und Maßnahme in einem Zusammenhang stünden. Dabei muss man unterscheiden. Ein gängiger Irrtum ist, dass „Sicherheitspolitiker“ automatisch Sicherheitsexperten seien. Viele sicherheitspolitische Forderungen zu stellen heißt aber nicht automatisch gute Sicherheitspolitik zu machen, vor allem, wenn diese im Scheinbereich zu liegen. Genauso wenig ist ein ein Übergewichtiger nicht automatisch Experte für Ernährung, nur weil er gerne isst. In Demokratien gilt noch ein weiteres Kriterium, nämlich das der Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Eine Maßnahme muss nicht nur Effektiv sein, sie darf auch nicht freiheitliche Grundrechte sinnlos beschneiden.

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Sicherheitspolitik hat aber neben der Herstellung von objektiver Sicherheit der Gesamtgesellschaft noch eine weitere Funktion: sie dient Partikularinteressen und oftmals auch zum Machterhalt bestimmter Akteure (insbesondere in autoritären Gesellschaften zu beobachten). Bürokratien, deren Legitimationsgrundlage Sicherheit ist, haben ein strategisches Interesse an Unsicherheit. Wenn alles sicher wäre, bräuchte man keine Sicherheitsbehörden. Aus diesem Grund gibt es keine ADA, Alien Defence Agency, eben weil es keine (bekannte) Bedrohung durch Außerirdische gibt. Anders formuliert, gibt es bei sicherheitspolitischen Organisationen wie Nachrichtendiensten immer ein Paradox: Sie existieren um eine Bedrohung zu besiegen. Wenn diese Bedrohung aber besiegt ist, gibt es keinen Existenzgrund mehr. Da Bürokratien aber Selbsterhaltungswesen sind, werden sie Unsicherheit beständig beschwören, um Mittel, Personal und Legitimation zu erhalten. D.h. sicherheitspolitische Maßnahmen dienen oftmals auch dem Eigeninteresse der jeweiligen Behörden, um etwa bessere Ausrüstung zu erhalten. Das ist natürlich bisweilen legitim, allerdings gilt es auch hier zu fragen ob etwas gefordert wird, weil es wirklich nötig ist oder einfach nur deswegen, weil man neues Spielzeug wie Körperkameras haben will.

Wenn also in den Medien von innerer Sicherheit und sicherheitspolitischen Maßnahmen gesprochen wird sollte man sich immer folgendes fragen: Wer hat Angst vor was, warum und will aus welchen Gründen welche Maßnahmen ergreifen? Zusätzlich, ist das ganze rechtsstaatlich und verhältnismäßig? Je unspezifischer die einzelnen Komponenten und je unklarer der Zusammenhang, desto wahrscheinlicher handelt es sich um Scheinsicherheit.

Testen wir den Burkafall. Objektiv gibt es wohl nur ein paar hundert Burkaträgerinnen in Deutschland. Dass die Sicherheitsakteure hierbei keine konkreten Zahlen nennen, ist bezeichnend, da dies üblicherweise zu einer rationalen Bedrohungseinschätzung gehört. Das Fehlen einer genauen Benennung der Gefahr ist also der erste Hinweis. Zweitens fehlt das Referenzobjekt. Was genau bedrohen Burkaträgerinnen? Wie viele Burkaträgerinnen haben bereits Anschläge verübt? Vermutlich gibt es mehr Banküberfälle mit Skimasken als mit Burkas. Bisher ist aber noch niemand auf die Idee gekommen, Skimasken zu verbieten. Das einzige was Burkaträgerinnen „bedrohen“ ist die „imagined community“ des deutschen „Volkes“, eine als homogen angenommene Volkseinheit, die es zwar gefühlt, aber nicht objektiv gibt. Oftmals wird dann die Kultur genannt. Inwiefern ein Kleidungsstück unsere Kultur bedroht bleibt dabei unklar. Kulturen verändern und vermischen sich permanent. Was heute als gute deutsche Tugenden deklariert wird, ist oft aus anderen Kulturkreisen importiert (Latein in der Sprache, die deutsche Kartoffel aus Amerika usw.). Oftmals werden dann die Rechte der Frau ins Feld geführt, allerdings werden diese Frauen gar nicht selber gefragt. Wenn rechtskonservative Politiker mit feministischen Argumenten hantieren, sollte man immer besonders genau hinhören. Was Burkaträgerinnen also tatsächlich bedrohen ist die gefühlte Sicherheit weißer, alter, oft-konservativer Männer. Burkaträgerinnen sind also vermutlich genau so gefährlich wie Clowns, Punks, Pantomine oder Karnevalisten. Es geht also nicht um unser aller Sicherheit, sondern faktisch nur um die Angst einer bestimmten Gruppe von Menschen. Das Beispiel um die Burka zeigt also, dass hier partikulare Sicherheitsinteressen als allgemeingültig definiert werden.

Wenn wir also in Zukunft über Sicherheitspolitik sprechen sollten wir immer analysieren, ob die genannten Punkte im Diskurs benannt werden. Wenn nicht, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um gefühlte Sicherheitspolitik.

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