Zahlreiche internet-affine Journalisten und Blogger machen momentan sehr gut darauf aufmerksam, wie offen der rechtsextreme Mob auf Social Media Plattformen wie Facebook operiert. Besonders erschütternd ist, dass Rechte sich so sehr im Aufwind fühlen, dass dies, entgegen der üblichen Sprüche der Konservativen, durchaus mit Klarnamen passiert. Es ist also nicht die böse Anonymität im Internet, die Leute zu Idiotie verleitet. Ich empfehle insbesondere die Beiträge von Sascha Lobo Organisierte Nazis: Hass im Netz und Wie aus Netzhass Gewalt wird und was dagegen hilft). Zahlreiche Kommentatoren fordern daher einen Aufstand der Anständigen, der sich den rechtsextremen Kommentaren im Internet entgegenstellt und um die Diskurshoheit ringen soll. So weit so schön, nur leider ist es unwahrscheinlich, dass der Aufstand der Anständigen auf Facebook stattfinden wird. Das hat verschiedene Gründe:
- Deutschland hat einen eklatanten Mangel an Intellektuellen die in der Öffentlichkeit auftreten und Position beziehen. Nur wenige Akademiker und Intellektuelle nehmen bisher an den Debatten um die Flüchtlingsproblematik teil und sprechen sich offen gegen Rechtsextremismus und Populismus aus. Dass Til Schweiger momentan eine hervorgehobene Rolle im Diskurs einnimmt ist bezeichnend. Ein Action-Darsteller ist die Speerspitze des zivilgesellschaftlichen Widerstands… Das gleiche Problem zeigt sich auch in anderen Diskursen, wie etwa der Euro bzw. Griechenland Krise. Hier tauchen immer wieder internationale Intellektuelle wie Thomas Piketty, Paul Krugman, Slavoj Žižek auf, aber von Deutschen fehlt jede Spur. Dass Altmeister Jürgen Habermas sich äußerte, ist schon die Ausnahme.
- Deutsche Intellektuelle sind nicht auf Facebook und können daher am Diskurs nicht teilnehmen. Das nächste Problem ist, dass die deutschen Intellektuellen digitale Medien bisher meiden wie der Teufel das Weihwasser. Dass amerikanische und britische Intellektuelle twittern bzw. eigene Blogs betreiben ist mittlerweile die Norm. In Deutschland ist dies die Ausnahme. Die meisten Professoren benutzen keine sozialen Medien. Lediglich bei Doktoranden gibt es ein Umdenken. Ein Blick auf die folgende Grafik ist erhellend.Der Anteil an Höhergebildeten in Social Media (d.h. Twitter und Facebook) ist weitaus geringer als in anderen europäischen Ländern. Gleichzeitig nutzen weitaus mehr User mit geringer Qualifikation Facebook. Mit anderen Worten: der Diskurs auf Facebook wird von Nutzern mit geringer Bildung dominiert. Gleichzeitig gibt es einen starken positiven Zusammenhang zwischen geringer Bildung und rechtsextremen Einstellungen. Dass also der rechte Mob auf Facebook so sichtbar ist, erklärt sich u.A. aus der Sozialstruktur der Plattform.
- Der Gegendiskurs der Internet-Avantgarde ist selbstreferenziell. Ein Großteil der deutschen Internet-Avantgarde tummelt sich hingegen auf Twitter und redet dort vorwiegend mit sich selbst. Das Problem ist, dass Twitter, im Vergleich zu Facebook einen relativen geringen Nutzungsgrad bei Deutschen hat. D.h. diejenigen, die am ehesten dazu in der Lage sind, Online-Diskurse zu führen und eine Gegenöffentlichkeit zu bilden, tummeln sich vorwiegend auf Twitter, während das Zielpublikum auf Facebook Hassparolen verbreitet. Man redet also aneinander vorbei. Gegenöffentlichkeit findet online nicht statt.
- Die bekannten Filter-Bubble Effekte führen dazu, dass Rechts in erster Linie mit Rechts spricht und Gegendiskurse ausgeblendet werden. Die Mehrheitsmeinung wird also gar nicht mehr wahrgenommen: man fühlt sich im Aufwind.
Der Aufstand der Anständigen muss also offline, auf der Straße stattfinden. Ein wichtiger Punkt wäre, dass mehr Figuren des öffentlichen Lebens und insbesondere Schauspieler, Musiker und insbesondere Politiker sich klarer Positionieren. Erste Zeichen dafür gibt es immerhin.