Patent-Panoptikon: Samsung gegen Apple und die üblichen Verdächtigen

In den verschiedensten Kommentarfeldern diverser IT-Newsseiten tobt gerade eine Schlacht parallel zum „patent-war“ zwischen Samsung und Apple, und zwar die der Kommentare von Apple-Fans und Gegnern. Dabei werden immer wieder „Argumente“ ausgebuddelt und als selbstverständliche Wahrheiten präsentiert. Eine davon ist die von Steve Jobs geäußerte Aussage „Good artists copy, great artists steal“, über die sich die Gemüter erhitzen. Dabei wird häufig auf das Wegweisende Industriedesign der Firma Braun verweisen, dass Apple lediglich auch nur klauen würde. Ist dies so? Eine differenzierte Sicht auf diesen Vorwurf ist angebracht.

Eine gute Übersicht über Ähnlichkeiten zwischen Braun Produkten und Apple Design findet sich hier.

Image Image

Der Laie erkennt sofort ähnlichen Aufbau, verwandte Linienführung und generell ähnliches look&feel der Produkte. Doch handelt es sich dabei um Kopien? Zunächst muss man feststellen, dass eine Lautsprecherbox von Braun noch lange kein iMac Computer ist, oder dass ein Radio kein iPod ist. Es ist also keine Kopie im eigentlichen Sinne, da nicht das Produkt selbst kopiert wird, sondern lediglich die dahinter liegenden Gestaltungsprinzipien. Apple stellt keine derartige Lautsprecherbox her. Was wird hier also kopiert?

Um die Sache mit dem Braun Design zu verstehen, muss man einen Blick auf Dieter Rams werfen, der Chefdesigner dieser Produkte. Dieser gilt in Industrie-Designer kreisen als eine Art Idol oder Leitbild, an dem sich viele Designer, darunter auch Chef-Designer Jonathan Ive von Apple, orientieren. Rahms steht für eine klare Designphilosophie, die durch die bekannten Designprinzipien erklärt wird:

  • Gutes Design ist innovativ.
  • Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
  • Gutes Design ist ästhetisch.
  • Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
  • Gutes Design ist unaufdringlich.
  • Gutes Design ist ehrlich.
  • Gutes Design ist langlebig.
  • Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
  • Gutes Design ist umweltfreundlich.
  • Gutes Design ist so wenig Design wie möglich

Sowohl Apple als auch Braun Produkte verinnerlichen diese Designprinzipien. Jonathan Ive gilt als Anhänger Rams und wendet diese Prinzipien auf Tech-Produkte an. Dieter Rams selber hat sich dazu geäußert und fühlt sich in erster Linie davon geschmeichelt, sieht aber selber darin keine Kopie. Aus einem Interview:

Das Minimalistische und Funktionalistische bei Apple kommen doch Ihren Braun-Entwürfen schon sehr nahe. Und Ive hat in einer ersten Version des iPhone-Betriebssystems sogar die virtuellen Taschenrechner-Tasten nach den berühmten runden Tasten von Braun-Taschenrechnern gestaltet.

Rams: „Das ist richtig, aber für mich ist das ein Kompliment. Das ist was ganz anderes als eine plumpe Nachahmung. Apple ist angeregt von Braun, wie viele andere auch. Hier geht es um die grundsätzliche Auffassung. Design ist ganz wesentlich davon bestimmt, dass es Dinge erklärt, ohne dass man lange eine Gebrauchsanleitung lesen muss. Das war immer unsere Vorgabe bei Braun: Dinge so zu gestalten, dass sie besser begreifbar waren. Wir haben von Anfang an viel Wert auf Produktgrafik gelegt, auf Skalen und Beschriftungen am Gerät. Das ist auch bei Apple ganz wesentlich – nicht das vordergründige Aufpolieren eines Gerätes, sondern, es gebrauchstauglich zu machen. Das ist eher selten zu finden: Die Firmen, die Design wirklich ernst nehmen, können Sie an zehn Fingern abzählen. Apple gehört dazu.“

Der letzte Satz von Rams ist wegweisend, denn sowohl Apple Produkte wie der iMac oder das iPad, als auch Braun Geräte verfolgen das Prinzip der Simplizität. Sie orientieren sich sinngemäß am gleichen Leitideal. Die Form des Geräts soll unmittelbar Aufschluss darüber geben, wie es zu bedienen ist bzw. wo der Fokus liegt. Deswegen ist das iPad ein „Rechteck mit runden Ecken“, wie Samsung Anwälte etwas polemisch sagten. Aber es ist mehr als das, es ist eine Design-Entscheidung. Als das iPad 2010 auf den Markt kam, mockierten zahlreiche Kommentatoren den schwarzen „Trauerrand“, der angeblich schlechtes Design wäre. Heute hat jedes Tablet einen solchen Rand und das aus gutem Grund, denn die Geräte werden mit einer Hand bedient und müssen mit der zweiten Hand, zwischen Daumen und Fingern, gehalten werden. Damit der Touchscreen den Daumen nicht als Eingabe interpretiert, braucht es den Trauerrand als neutrale Zone ohne Touch-Sensor. Während dieser Trauerrand früher mockiert wurde heißt es heute dagegen: „wie soll ein Tablet denn anders aussehen als so?“. Diese scheinbare, gefühlte „Normalität“ bestimmter Funktionen ist blanke Konsequenz der Ram’schen Designprinzipien und kennzeichnet gutes Design. Es zeigt, dass das Design natürlich und innovativ ist, denn es muss nicht extra erklärt werden und wird somit automatisch verinnerlicht und als „normal empfunden“. Immer wenn ein Design zur Normalität wird, ist es gutes Design, denn die Designentscheidung rückt in den Hintergrund und nur noch die Anwendung bzw. das Produkt selbst zählt. Diese Philosophie reflektiert Jonathan Ive immer wieder in Apples kleinen Promo-Clips zu den Produkten. Auch wenn es esoterisch anmuten mag, dahinter stecken mehr Gedanken als auf den ersten Blick sichtbar sind. Im Marx’schen Duktus wird hier der „Fetischcharakter der Ware“ sichtbar. Nein, nicht dass Kunden Produkte sexuell begehren, sondern dass die Produktionsbedingungen und Entscheidungen, die Leistung des Arbeiters hinter dem Produkt, in Vergessenheit geraten. Der Wert des Produkts beruht nicht mehr auf der Anerkennung der Arbeitsleistung, sondern nur noch auf dem Produkt selbst.

Apple sorgt aktiv dafür, dass das Produkt in den Vordergrund rückt und die dahinter liegenden materiellen Prozesse bewusst ausgeblendet werden. Apple-Geräte sollen zum Beispiel nicht geöffnet werden um die materielle Struktur sichtbar zu machen und die emotionale Fassade zum „Wunderding“ an sich aufrecht zu erhalten. Auch aus diesem Grund wirbt Apple nicht mit Hardwarespezifikationen, Megahertzahlen, Display-Auflösungen sondern mit der Interaktion und der Beziehungsebene zwischen Mensch und Maschine und den Anwendungsfeldern, die sich daraus ergeben. Statt rationaler Technik legt man Wert auf eine emotionale  Bindung, eine Werbemethode, die Samsung inzwischen auch verstärkt verwendet.

Es ist wirklich lohnend, diese Design-Prinzipien zu lesen und zu Fragen, welche Rolle diese in den „patent-wars“ spielen. Apple zieht zum Beispiel mit dem „pinch-to-zoom“ Patent zu Felde, welches eine Methode beschreibt, bei der ein Fingerspreitzen auf einem Multi-Touch Bildschirm den Bildausschnitt vergrößert. Ein anderes Patent ist der „double-tap“, bei welchem durch einen Doppelklick ein bestimmter Bildausschnitt vergrößert wird. Dabei geht es nicht nur um bloßes zoomen, sondern dahinter liegt ein Algorithmus der Bildausschnitte erkennt und somit nur eine Textspalte vergrößert, dass nur diese in optimaler Größe gelesen werden kann. Wer sich an Smartphones vor dem iPhone erinnert, weiß, dass zoomen damals über kleine +- Schaltflächen realisiert wurde und das ein Doppeltippen mit dem Stylus keinen passgenauen Zoom auf einen speziellen Textausschnitt bewirkte. Apple hat den „pinch“ erstmalig mit dem iPhone 2007 gezeigt und seitdem ist es der de facto Standard für zoomen auf mobilen Geräten. Die Eingängigkeit dieser Geste zeugt von ihrer Innovationskraft, ganz einfach weil durch die Bewegung und die Animationen ein Gefühl der direkten Interaktion von Mensch und Display erzeugt wird, welches sich natürlich anfühlt. Fast alle genannten Design-Prinzipien tauchen allein in dieser simplen Geste wieder auf. Aus diesem Grund fühlt es sich natürlich an und man stellt sich automatisch die Frage „wie denn sonst?“. Das diese Methode aber nicht einfach so auf Bäumen wächst und das Resultat eines langen, kritischen Designprozesses ist, wir dabei übersehen. Man hätte einen Zoomeffekt durchaus auch anders realisieren können, etwa durch Schieberegler oder ein 3-Finger scrollen. Diese Lösung ist aber durch andere Multi-Touch Gesten, weniger attraktiv. Seit dem iPhone 2007 gibt es intelligentes scrollen. Eine senkrechte Fingerbewegung wird vom Gerät als senkrechtes scrollen interpretiert und dabei wird versehentliches Seitwärtsscrollen deaktiviert. Wenn man mit einer Kreisgeste auf dem Touchscreen startet, ist scrollen in beide Achsenrichtungen möglich. Auch dass ist eine Design-Entscheidung. Durch das scrollen wäre also auf dem enstprechendem iPhone eine Reglerlösung zum zoomen behindert, weshalb eine andere Methode, nämlich das pinchen erdacht wurde. Hier zeigt sich die Kontingenz des „pinch-to-zoom“ Patents. Die Geste macht nur dann Sinn, wenn sie in einer Multitouch-Umgebung, die scrollen in einer bestimmten weise interpretiert, verwendet wird. Währen die komplentären Eingabegestern verschieden, könnte man zoomen auch anders realisieren. Das Scrollen an sich hätte durchaus anders realisiert werden können. Dass es anders geht, zeigt zum Beispiel Microsoft sowohl mit seinem alten Windows Mobile System, als auch mit dem neuen Windows Phone.

Kommen wir zum Fazit. Gutes Design wächst nicht auf Bäumen sondern ist das Resultat eines langen trial&error Prozesses. Ob am Ende gutes Design steht erkennt man daran, dass es sich natürlich anfühlt, simpel zu begreifen ist und zudem „ehrlich“ ist. Ehrlichkeit heißt, dass das Produkt durch „schnittige“ Linienführungen oder Klavierlack nicht von seiner Wesensart ablenkt und vorgibt, etwas anderes zu sein (ein Laptop ist kein Klavier nur weil es Klavierlack-Optik hat und ein Elektrorasierer ist kein Kampfjet der mit Mach-Geschwindigkeit fliegt). Wer die Ram’schen Designprinzipien befolgt, kommt am Ende bei einem bestimmten Produktdesign an, welches maximale Nutzbarkeit und Simplizität verkörpern soll. So gesehen begreifen sich die Designprinzipien als Werkzeuge, als Leitfaden für das Erstellen von Produkten. Sie sind wie bestimmte Maltechniken in der Malerei, wie bestimmte Pinselführungen und Bildkompositionen. Wer sagt, Apple klaut bei Braun, sagt sinngemäß, alle Impressionisten klauen bei Claude Monet, weil sie die gleichen Designprinzipien (Pinselführung und Bildkomposition) verwenden.

Eine gute weiterführende Doku zum Thema findet sich hier.

Copyright of the used pictures by: 

http://www.kunstundso.com/2011/11/15/die-10-design-regeln-von-dieter-rams-braun-und-wie-apple-sich-inspirieren-lasst/

http://thomasmayerarchive.de/images/820/097AG20050718D1790/jpg/097AG20050718D1790,Society,Art-%26-Culture,Dieter-Rams,-Designer,Dieter-Rams,-Designer.jpg http://osxdaily.com/wp-content/uploads/2011/08/tablets-before-and-after-ipad.jpg

Beitrag erstellt 147

Ein Gedanke zu „Patent-Panoptikon: Samsung gegen Apple und die üblichen Verdächtigen

Kommentare sind geschlossen.

Verwandte Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben