Bayern, Vorratsdatenspeicherung und ein paar (riesige) offene Fragen

Im Zuge der bedauerlichen Gewalttaten der letzten Wochen hat sich die bayrische CSU, aller Warnungen vor hektischen Reaktionen von Seiten der Bundesregierung, dem Aktionismus verschrieben und neue Sicherheitsmaßnahmen gefordert. Das Paket trägt den Namen „Sicherheit durch Stärke“, den sich auch George Orwell nicht besser hätte ausdenken können und enthält Forderungen wie „Bundeswehr im Innern“. Ich will hier insbesondere auf die geplante Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung eingehen. Hierzu bleiben bisher eine Reihe von Fragen unbeantwortet.

Die Vorratsdatenspeicherung, von der großen Koalition beschlossen, ist seit Anfang 2015 in Kraft. Das neue Gesetz wurde unter starken verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorbehalten ausgehandelt. Zur Erinnerung, die Vorratsdatenspeicherung wurde vom Bundesverfassungsgericht, vom europäischen Gerichtshof und zahlreichen anderen europäischen Gerichten als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. Aus diesem Grund handelte Justizminister Maas zum Beispiel aus, dass die Landesämter für Verfassungsschutz keinen Zugang zu den VDS Metadaten haben sollen. Bayern hat sich dem bereits widersetzt und dem lokalen Verfassungsschutz durch eine juristische Interpretation zugriff verschafft. Jetzt steht eine erneute Ausweitung, „mission creep“ wie der Soziologe es nennt, an. Mission creep bezeichnet die Einführung einer kontroverseren Maßnahme unter engen juristischen Begrenzungen und die stetige Ausdehnung dieser, sofern sie einmal in Kraft ist. Maßnahmen, die z.B. gegen Terroristen eingeführt wurden, werden dann z.B. auch für Kleinkriminelle verwendet. Da die bayrische Initiative nur wage Ankündigungen enthält, kann ich hier nur allgemeine Probleme adressieren, die sich evtl. mit einer Konkretisierung der Pläne selbst erledigen.

Hier ist, was ich aus verschiedenen Nachrichtenquellen extrahieren konnte. N24 schreibt: „Darüber hinaus fordert die CSU eine massive Verschärfung der Sicherheitspolitik – unter anderem eine Ausweitung der sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Wie Telefonunternehmen sollen auch Anbieter von E-Mail-Diensten und sozialen Medien verpflichtet werden, Verkehrsdaten zu speichern. Zudem soll die Frist zur Speicherung der Daten von zehn Wochen „deutlich“ gesteigert werden.“

Computerbase berichtet: „Im Klartext bedeutet das: Nicht nur die Telekommunikationsanbieter, sondern sowohl die Anbieter von E-Mail-Diensten als auch die Betreiber von sozialen Medien sollen künftig Vorratsdaten sammeln. Erweitert werden soll zudem der Katalog an Straftaten, bei denen Sicherheitsbehörden auf die Vorratsdaten zugreifen können. Und die Speicherfrist von bislang zehn Wochen müsse ebenfalls „deutlich“ erhöht werden“

Hier tun sich einige Unklarheiten und Probleme auf.

  • Bayerns Initiative sieht vor, dass nicht mehr nur Internet & Telefonanbieter Vorratsdaten erheben sollen, sondern auch Email Unternehmen, soziale Netzwerke und Messenger-Dienste. Das ist eine dramatische Ausweitung der Datenquellen. Hierbei sind mehrere Dinge unklar: Wie will Bayern globale Unternehmen wie Google, Microsoft oder Apple dazu zwingen, die Metadaten ihrer Emaildienste an den deutschen Staat weiterzugeben? Dies ist bisher offen. Ferner gibt es aber nicht nur die großen Anbieter, sondern auch de, Gmx und Co. Diese deutschen Unternehmen zu zwingen währe einfach, aber wie verhält es sich mit Anbietern, die keine Metadaten erheben wie z.B. Posteo? Posteo bietet die Option der Verschlüsselung von Metadaten an, so dass diese für niemanden lesbar sind. Hier sind also Probleme zu erwarten.
  • Die gleiche Frage stellt sich bei Messenger-Diensten. Zahlreiche Unternehmen wie WhatsApp, Apple, Threema, Facebook und Signal sitzen im Ausland. Es ist vollkommen unklar, wie hier rechtlich verfahren werden soll. Ferner verschlüsseln die meisten Anbieter mittlerweile ihre Gesprächsprotokolle. Andere Tools erheben nicht einmal Metadaten, also wer mit wem spricht. Wenn jemand wirklich illegale Aktivitäten betreiben will, wird er einen Dienst nutzen, der keine Daten erhebt oder auf elektronische Kommunikation weitgehend verzichten. Die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung trifft also vermutlich nicht die legitimen Ziele, sondern Normalbevölkerung.
  • Diesbezüglich lässt einen die Ausweitung der Straftaten aufhorchen. Während die erste Version der Vorratsdatenspeicherung von 2005 noch auf schwerste Straftaten abzielte, also vor dem Hintergrund von Terrorismus eingeführt wurde, enthält der aktuelle Entwurf bereits eine niedrigere Schwelle, sogenannte schwere Straftaten. Dazu gehört z.B. Mord/Totschlag, Terrorismus, schwere Sexualdelikte und das „Einschleusen von Ausländern“, aber auch, je nach juristischer Interpretation, eine ganze Bandbreite verschiedener Dinge. Dass dies jetzt noch einmal ausgeweitet werden soll ist zu hinterfragen. Allerdings weiß man hier noch nichts Konkretes. Dies ist insofern bedenklich, als dass schon zu Zeiten der ersten Vorratsdatenspeicherung, also bevor sie vom Verfassungsgericht gestoppt wurde, diese für alles mögliche, nur aber nicht zur Terrorbekämpfung eingesetzt wurde, wie die Grafik von Bug/Münch 2011 zeigt. Bildschirmfoto 2016-07-29 um 16.00.19
  • Die Telefonunternehmen beklagen bereits heute die hohen Kosten der Speicherung. Diese belaufen sich laut einer Schätzung der Bundesnetzagentur auf 250 Millionen Euro. Welche Kosten auf die ganzen besagten anderen Unternehmen zukommen, ist bisher nicht bekannt. Im schlimmsten Fall könnten kleine Anbieter wirtschaftliche Probleme bekommen oder ganz aus Deutschland verdrängt werden. Dies bleibt abzuwarten.
  • Eine weitere offene Frage ist, wieviel länger als 10 Wochen gespeichert werden soll. Konservative haben schon immer für lange Speicherdauern, zwischen 6 Monaten und einem Jahr plädiert. Auch hier gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Die kurze Speicherdauer wurde u.A. mit der Kompatibilität zu rechtlichen Anforderungen begründet und sollte i.d.R. auch ausreichend sein. Wenn die Speicherdauer ausgedehnt wird, erstellt sich erneut die Frage der Rechtmäßigkeit. Neben dieser Rechtsfrage, stellt sich auch eine praktische Frage: wozu? Im Falle der Gewalttaten der letzten Woche konfiszierten die Polizeibehörden die Computer der Täter, in denen in der Regel Kommunikationsverläufe, z.B. Facebook Chats im Klartext gespeichert sind. Gleiches gilt auch für Messenger auf Smartphones, die nicht regelmäßig den Gesprächsverlauf löschen (Snapchat) D.h. man kann auch ohne Vorratsdaten Kommunikationsmuster rekonstruieren.
  • Ferner ist mir der Geltungsbereich nicht ganz klar. Handelt es sich hier um eine regionale Sonderheit Bayerns, oder betrifft die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung ganz Deutschland? Die Kanzlerin blieb bisher dazu eher wage. Die SPD, insbesondere Justizminister Maas halten sich bedeckt.
  • Zu guter letzte ist der Nutzen dieser Maßnahme unklar. Es ist zu bezweifeln, dass ein Richter eine so intime Überwachungsmethode für einen psychisch-kranken Schüler abgesegnet hätte bzw. dass Amoktäter überhaupt eindeutige Datenspuren hinterlassen. Counterstrike spielen und ein Interesse für Amokläufe sind sehr dünne Indikatoren und betreffen im schlimmsten Fall hunderte Schüler, die z.B. das Thema jetzt in Hausaufgaben aufarbeiten und fleissig bei Google recherchieren. Zudem ist es eine Kapazitätsfrage ob die Polizei jedem depressiven Jugendlichen nachgehen kann, der Waffen toll findet. Es ist auch zu Fragen, inwiefern Vorratsdaten den Attentäter von Würzburg oder Reutlingen hätten finden können. Am ehesten Gäbe es Chancen beim Ansbach-Vorfall, aber auch hier ist anzunehmen dass intelligente Terroristen ihre Spuren verwischen, indem sie z.B. VPN Clients oder TOR benutzen, welche die Vorratsdatenspeicherung wirkungslos machen. Dies wird zumindest in einem Manual von ISIS empfohlen.Ferner ist der Hinweis wichtig, dass auch Frankreich, mit seiner noch umfassenderen Vorratsdatenspeicherung auch keine präventiven Erfolge zu vermelden hat.
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